Kirchenmusik

“… wie im Himmel so auf Erden …”

Uraufführung von "Pater Noster -- Unser Vater" von Stefan Heucke / Norbert Lammert

Michelangelo: Jüngstes Gericht (Detail) | zeno.org

Es sei wieder chic, sich christlich zu geben. “Christliche Werte” hätten Konjunktur oder, das ist dann politisch korrekt behauptet, die “jüdisch-christlichen Werte”. Darüber liest man oft in letzter Zeit, ich weiß nicht, ob es stimmt.

Mal abgesehen davon, dass es mit Werten so eine Sache ist, solange sie der Verwertung dienen: In der Bibel “Werte” zu finden, ist jedenfalls schwer, es finden sich aber Ideen darin, und eine davon liegt dem Rechtsstaat zugrunde, das ist die Idee des Jüngsten Gerichts, des letzten. Die Idee, die Mächtigen vom Thron zu stürzen, damit Gottes Recht regiere wie im Himmel, so auf Erden.

“Ich zittere für mein Land, wenn ich daran denke, dass Gott gerecht ist”,

sagte Thomas Jefferson, der Präsident einer Gesellschaft, in der es rechtmäßig war, dass Menschen rechtlos waren. Zwei Jahrhunderte später hat Norbert Lammert, Bundestagspräsident, das VaterUnser übersetzt, Stefan Heucke, Komponist, hat es vertont.

Die Uraufführung von “Pater Noster – Unser Vater”, eine Auftragskomposition der Bochumer Symphoniker, findet am Freitag in der Christuskirche statt, es ist Opus 57 von Heucke für Soli, Chor und Orchester in großer Besetzung.

Die Solisten  –  Catriona Smith und Alla Kravchuk, Sopran, Marcel Beekman, Tenor und Andreas Wolf, Bass  –  singen die lammertsche Übersetzung, der Philharmonische Chor den lateinischen Text. Im Anschluss dirigiert Harry Curtis die “Große” Messe c-Moll von Mozart.

Während ich mich frage: Der zweite Mann des Staates übersetzt das VaterUnser   –  Dein Reich kommt, wenn Dein Wille geschieht –  und das städtische Orchester beauftragt einen Bochumer Komponisten, es zu vertonen, werden darin die “christlichen Grundwerte” offenbar?

Ich habe mir oft vorgestellt, wie es wohl wäre, hinge im Bundestag, dem Arbeitsplatz von Norbert Lammert, das “Jüngste Gericht” von Michelangelo. Es befindet sich bekanntlich im Vatikan, und Michelangelo hat auf die Seite derer, die vor Gott verurteilt werden  –  Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich nicht gespeist –  eine ganze Reihe der Mächtigen seiner Welt gestellt. Könige, Päpste, Kardinäle, von denen einige, als Michelangelo sie gut erkenntlich malte, gänzlich in Amt und Würden waren.

Wie es wohl wäre, hinge das “Jüngste Gericht” im Bundestag, der über, sagen wir, Hartz-IV-Regelungen befindet?

Inzwischen aber ist mir meine eigene Vorstellung selber suspekt, sie kann nur rechthaberisch werden. Jenes Recht, das man nur kriegen kann, wenn eh alles gelaufen ist, und zwar schief. Am Ende freut sich der Betrachter, wenn alle über den Deister gehen. Ich bin kein Fan von Staatskultur, das wirklich nicht, es ist mir nie so ganz geheuer, wenn sich ein Staat als Kulturstaat inszeniert und sich Kultur als staatlich sanktioniert.

Was ich gut finde, das ist das Vertrauen, das entsteht, wenn ich weiß, dass andere sich zu sich selber verhalten. Dass Politiker, ob in Berlin oder im Rathaus nebenan, die Entscheidungen, die sie treffen, vor einer Instanz verantworten, die den nächsten Wahltermin zumindest relativiert:

Dein Wille geschehe stellt immer vor die Wahl, die hat, wer mit sich selber im Zwiegespräch steht. Und wird so ein Zwiegespräch öffentlich geführt, geht es um keine “Grundwerte”, sondern ums Denken.

>> Freitag, 12. November, 20 Uhr
>> VVK exklusiv im Schauspielhaus | Abendkasse