Kultur & Theologie

Multikulturelles Stammesbewusstsein

Aufruf an der Kirchenmauer, Juli 2011: “Tötet die Deutschen”. Frage ist: wer wen?

Ayla Wessel, Aufruf an der Kirchenmauer| Foto thw

“Wir stellen bei den Gewalttätern seit einiger Zeit eine unverblümte Deutschenfeindlichkeit fest.” Der Satz ist bald fünf Jahre alt, er stammt aus einem Interview, das Kirsten Heisig, Berliner Jugendrichterin, zusammen mit ihrem Kollegen Günter Räcke dem TAGESSPIEGEL gegeben hatten:

“Scheiß-Christ, Schweinefleisch-Fresser – das sind Begriffe, die richtig in Mode sind.”

Ist der Satz Tötet die Deutschen, vor kurzem auf die Außenmauer der Christuskirche geschmiert, deutschenfeindlich? Ist das Rassismus?

Nein, würde die Publizistin Andrea Dernbach vermutlich sagen. Rassismus, schrieb sie kürzlich, sei das “falsche Wort“, denn:

„Rassismus war immer der Vorwurf der Unterdrückten an die Adresse der Unterdrücker, der Opfer gesellschaftlicher Verhältnisse gegen deren Nutznießer. Er erzählt von Macht. […] Alles, was wir inzwischen über strukturelle Diskriminierung von Migranten allein auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungssystem wissen, spricht eine andere Sprache.“

Ja, würde die Bundesministerin Kristina Schröder sicherlich sagen, der Satz Tötet die Deutschen ist

„Deutschenfeindlichkeit ist Fremdenfeindlichkeit, ja Rassismus. Denn hier wird jemand diskriminiert, weil er einer bestimmten Ethnie angehört.“

Recht hätten sie beide nicht, finde ich. Dernbach behauptet vorweg, dass nur, wer Macht habe, rassistisch sei und darum, wer keine habe, kein Rassist sein könne  –  eine kuriose Logik, mit der sich auch Neo-Nazis solange freisprechen ließen, bis sie erneut die Macht übernähmen. Dernbach braucht diesen Unfug aber, um die Welt zu sortieren: Migranten, sagt sie, seien ohne Macht, darum Opfer, weil “strukturell” diskriminiert, während Deutsche von Geburt wegen “Nutznießer” seien.

In der Redaktion ihrer Zeitung mag das auch durchaus so sein, ist es aber sicher nicht, wenn man die Namen der Abiturjahrgänge liest, die in der Zeitung stehen. Letzte Woche hatten wir hier in der Christuskirche zwei Abitur-Entlassungsfeiern, das war eine polyglotte Meisterleistung, das Aufrufen der Namen aus aller Welt. Menschen sind nie Opfer oder Täter, sondern immer beides:

„simul iustus et peccator“

hieß das bei Luther, gerecht und sündig zugleich. Es gibt kein Schwarzweiß und keine Weißen oder Schwarzen  –  entscheidend ist, wie sich das Grau schattiert.

Aber auch die Ministerin Schröder liegt falsch, wenn sie glaubt, Rassismus sei dann der Fall, wenn eine “bestimmte Ethnie” diskriminiert werde. Was soll das sein, die deutsche Ethnie? Das Wort ethnisch ist bestenfalls eine Verlegenheit, es wanderte Anfang der 90er in den Sprachgebrauch ein, als man anfing, wieder in Völkern zu denken anstatt in Nationen, es aber nicht völkisch sagen konnte: Völkisch hatten die Nazis ihre Bewegung genannt,

„Volk und Rasse“

heißt das Konzept in Hitlers „Mein Kampf“. Weshalb die Familienministerin glücklicherweise unrecht hat: Den Völkischen ging es darum, aus Volk eine Rasse zu formen. Und das genau ist der Punkt, wenn man verstehen will, was Rassismus überhaupt ist:

Zur Rasse wird, wer verfolgt, und nicht, wer verfolgt wird.

Rasse wird immer die Rotte, die egal wen zu Tode tritt. Tötet die Deutschen ist also lupenrein rassistisch  –  dies aber nicht deshalb, weil der Appell gegen wen gerichtet sei, sondern  –  „tötet“ ist ein Appell an jemanden  –  weil er sich an die eigene Horde richtet.

Die allerdings, wenn sie entsteht, so bunt gewürfelt sein wird wie die Gesellschaft, in der sie entsteht. So etwa die Vier, die jetzt in Berlin wegen Mordversuchs aus “Rassenhass gegen Deutsche” angeklagt werden: Ihre Familien stammen aus Bosnien, Nigeria, dem Kosovo und dem Irak, gemeinsam aber scheint ihnen zu sein, über alles hinweg zu sehen, was man so liebevoll ethnisch nennt.

Die Horde, die heute entsteht, ist multikulturell, sie ist dabei, ihr Stammesbewusstsein zu entwickeln.  


→ Update_1 | An diesem Punkt erst kommt die Religion ins Spiel: Der Aufruf, Deutsche zu töten, wurde schließlich an die Christuskirche geschmiert und nicht ans symbolträchstige Gebäude nebenan, das Rathaus. Ob diese Wahl nun spezifisch “christenfeindlich” sei, ist ein eigenes Thema.