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Navid Kermani

Hans Ehrenberg-Preis 2023

Navid Kermani by Julian Baumann 2018

Mit dem Hans-Ehrenberg-Preis 2023 ehren wir, die Evangelische Kirche in Bochum gemeinsam mit der Evangelischen Kirche von Westfalen, Dr. Navid Kermani für seine Kunst des dialogischen Denkens. Die Laudatio hält Norbert Lammert, langjähriger Präsident des Deutschen Bundestages, die theologische Laudatio die Vorsitzende des Rates der EKD, Präses Annette Kurschus.

„Weißt du, was mein liebstes Wort im Koran ist? Das Wort ‚vielleicht‘.“ Kaum ein Wort, schreibt Navid Kermani, das häufiger vorkomme im Koran, „vielleicht dass ihr dankbar seid, vielleicht dass ihr einseht, vielleicht dass ihr versteht … In diesem ‚vielleicht‘ liegt deine Freiheit, deine Verantwortung, deine Suche nach Erkenntnis“.

Navid Kermani sucht den Dialog, sein Erkennen entfaltet er im Modus des Möglichen, eine Weise, die immer voraussetzt, der andere könnte im selben Maße recht haben, in dem man selber recht hat. Dieses Denken im Dialog, das den Widerspruch als kreativ empfindet, hat Navid Kermani mit Hans Ehrenberg gemein. Ehrenberg hat die Dialogische Philosophie mitbegründet und das Erkennen methodisch abgelöst vom monadischen Ich: Wer denkt, „ist“ nicht deshalb, weil er denkt, niemand erschafft sich selbst; das Denken eines jeden verdankt sich dem der anderen, auf das es sich bezieht.

Und wie Hans Ehrenberg glaubt Navid Kermani nicht daran, dass Denken immer darauf aus sein müsse, in Synthesen zu münden. Der Konsens ist ein politisches Ziel, Denken lebt im Dissens, im bewussten und bewusst geschärften Verschiedensein. Franz Rosenzweig, der jüdische Philosoph, dessen Denken sich an dem seines Vetters und Mentors Hans Ehrenberg geschärft hatte, hat dieses dialogische Erkenntnisprinzip auf den Punkt formuliert: „Die Wahrheit, die ganze Wahrheit, gehört so weder ihnen noch uns … Und so haben wir beide an der ganzen Wahrheit nur teil.“

Rosenzweigs Satz galt dem frühen jüdisch-christlichen Dialog, den er und Ehrenberg in den 20er Jahren geführt haben, der Satz könnte auch für einen Dialog stehen, wie ihn Ehrenberg und Kermani heute führen würden. Einen Dialog, dem es nicht darum ginge, sich gleich zu machen, sondern um ein gemeinsames Leben „im Zeichen der Liebe“: Hans Ehrenberg ist ihr, der agape, „die niemals der Pflicht wegen tätig wird, sondern immer spontan“, selbst in jener „sadistischen Hölle, dem Konzentrationslager“ begegnet, wie er später schrieb – während Kermani, der die Kriegs- und Krisengebiete dieser Welt bereist, uns mit hinein nimmt in einen liebenden Blick, mit dem er sich in denen erkennt, deren Leiden unermesslich sind: „Auf allen Reisen, in allen Ländern“, schreibt Kermani, sei ihm eine Liebe entgegengekommen, „die ihren Grund nicht nur in dieser Welt zu haben schien, sondern im Vertrauen auf Gott. Denn sie brauchte nichts zurück.“

Navid Kermani mit dem Preis zu ehren, der Hans Ehrenberg erinnert, heißt, die Kunst des dialogischen Denkens zu feiern. Eines mitfühlenden Denkens, jederzeit bereit, dem, der widerspricht, dasselbe Maß an Wahrheit zugute zu halten, das es für sich selber reklamiert, eben deshalb aber jederzeit bereit, gegenüber einem totalitären und fundamentalistischen Denken scharfe Grenzen zu ziehen.

Wo hier die Grenzen des Dialogs verlaufen, die Grenzen der Aufklärung? Vielleicht, dass sie immer neu gezogen werden müssen, vielleicht, dass es immer „auf der Kippe steht“, wie Kermani sagt, „ausgerechnet der Koran oder auch die Bibel lehren uns mit dem Vielleicht nicht etwa die Eindeutigkeit, sondern die Ambivalenz: Lebt mit diesem Vielleicht!“

Navid Kermani

Hans Ehrenberg-Preis 2023

Einlass 18:30 Uhr | Freier Eintritt, wir bitten um Anmeldung per Mail an info@christuskirche-bochum.de