Kultur & Theologie

„Was für Tiere es sind auf Erden“

„Wilderness“ by Hundreds | 8. Dezember

Träumendes Pferd | Franz Marc 1913 | Solomon R. Guggenheim Museum, New York

Kommen Tiere in den Himmel, können sie ewiges Leben erlangen?

Frei nach Anatole Franc wäre es unerträglich, darauf zu hoffen, dass man auch im Himmel immer nur fräße und gefressen würde. Der Begriff des Lebens, schrieb Adorno  –  egal, ob irdisches Leben oder ewiges, ob menschliches oder tierisches  –  

„ist gar nicht zu trennen von dem Unterdrückenden, Rücksichtslosen, eigentlich Tödlichen und Destruktiven“.

Knut das Knuddel ist Knut der Killer, diese Erfahrung ist verlässlich, weil uralt. Ähnlich alt die Idee, dass Wilderness sanft und der Löwe lammfromm werden könnte: Fressen und Gefressen Werden macht überdrüssig, das ist die Hoffnung. 

Wie das einmal aussehen könnte, wäre der Zwang der Natur gebrochen, hat sich  –  im 8. v.Chr.  –  Jesaja vorgestellt, 11. Kapitel:

„Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcklein lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwe und Mastvieh miteinander treiben. Kühe und Bären werden zusammen weiden, dass ihre Jungen beieinanderliegen, und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder.”

Nicht ganz widerspruchsfrei, dieses Bild, aber schön. Natur, die sich versöhnlich zeigt, diese Hoffnung findet sich in Cat Content genauso wie in Jesaja und noch viel länger zurück: 30.000 Jahre alt und möglicherweise noch älter dürften die Malereien in der Chauvet-Höhle in Südfrankreich sein, 1994 entdeckt: Tierbilder in „einzigartiger Schönheit und Harmonie“, wie Wikipedia erklärt:

„In Bildwänden von bis zu 12 Meter Breite erscheinen Tiere, die sich in der freien Wildbahn bekämpfen würden, in friedlichem Miteinander.“

In der Chauvet-Höhle dargestellt sind eben nicht nur die gängigen Beutetiere – das hätte ja noch unmittelbare Funktion gehabt, der Blick auf Details und die Bewegungsabläufe von Beutetieren wäre so etwas wie Schulungsmaterial gewesen für die Jagd – sondern, so Wiki:

„Es handelt sich auch um Tiere, die dem Menschen in der Natur gefährlich werden oder Angst einflößen können. Keines dieser Tiere aber wirkt auf die Betrachtenden feindselig, böse oder aggressiv. Im Gegenteil fällt auf, dass speziell die Zuneigung unter Tierpaaren, auch Nicht-Artgenossen, thematisiert wurde.“

An diesem Punkt liest sich Wiki wie die Bibel und Jesaja 11 wie ein Kommentar zu den Bildern aus Chauvet-Pont-d’Arc. Und so ließe sich auch Genesis 1 lesen, die biblische Vorstellung von einem ursprünglichen Frieden (statt eines kommenden wie bei Jesaja). Ob es ihn jemals gegeben hat, so einen Ur-Frieden? Als Sehnsucht ganz offenbar, Paradies-Mythen finden sich in vielen Kulturen, und an der biblischen Version dieser Vorstellung ist interessant, dass zwar die Menschen aus ihr, dem Paradies, vertrieben worden sind, die Tiere aber nicht. Wird jedenfalls nirgends in der Bibel erwähnt. Als sollte die Möglichkeit offen gehalten werden, sich vorzustellen, dass Tiere noch heute in einer Art Unmittelbarkeit zu Gott leben könnten.

Wer diese Möglichkeit genutzt und es sich vorgestellt hat, war Franz Marc. Sprung ins 20. Jahrhundert, 1910 schrieb der große Expressionist „Über das Tier in der Kunst“:

„Ich suche mein Empfinden für den organischen Rhythmus aller Dinge zu steigern, suche mich pantheistisch einzufühlen in das Zittern und Rinnen des Blutes in der Natur, in den Bäumen, in den Tieren, in der Luft – – –; […] Ich sehe kein glücklicheres Mittel zur »Animalisierung der Kunst«, wie ich es nennen möchte, als das Tierbild.“

Es träumen die Pferde. Dass es so sein könnte, wird unmittelbar plausibel, wenn man das Bild, das über diesem Artikel steht – „Träumendes Pferd“ – betrachtet. Pferde können träumen, Hauskatzen können es und Raubkatzen, Rehe und Wölfe, sie können es wie Liebende:

Franz Marc, Rote Rehe II, 1912

Sie können es wie die Ikone der Liebe, die Mutter Jesu mit dem Kind; bei Franz Marc sind es Frau mit Katze:

Franz Marc, Mädchen mit Katze II, 1912, Franz Marc-Museum

Die Formen, in denen sich Marc „das Zittern und Rinnen des Blutes“ zeigt  –  ob es in menschlichen oder tierischen Adern fließt  –  ähneln sich akut.

Solche Intimität von Mensch und Tier hat Marc allerdings in eine Zeit hinein gemalt, in der das „Rinnen des Blutes“ gerade nicht dazu gedient hat, Gemeinsamkeiten zu finden, sondern Unterschiede zu begründen:

Der gängige Bio-Diskurs damals war nackter Rassismus, es ging  –  nicht nur auf der politisch rechten Seite, ebenso mittig und links  –  um Evolution, Fortschritt, Überwindung. Öko hieß Auslese. „Rinnen des Blutes“?

Haben die Nazis und deren Sturmtruppen wenig später auf ihre Weise besungen  –  irgendein Reim mit „Mut“, und dann,

„wenn’s Judenblut vom Messer spritzt / gehts nochmal so gut“.

Es gibt ein Bild von Franz Marc, in dem er dieses Doppelgesicht der Natur – Mordlust & die Feier des Lebens, Naturfrieden & bestialische Natur, Blutorgie & Abendmahl usw. – in dem er dieses Doppelgesicht einfängt: „Tierschicksale“ heißt das Bild, 1913 gemalt, der englische Titel ist präziser: „Fate of the Animals“:

Franz Marc, Fate of the Animals (Tierschicksale), 1913 | Kunstmuseum Basel

Eigentlich erzählt dieses Bild davon, dass Tiere aus ihrer paradiesischen Ruhe aufgeschreckt werden, weil ein Waldbrand ausgebrochen ist, eigentlich erzählt Marc hier von der Kehrseite friedlicher Natur:

„Und alles Sein ist flammend Leid“,

hatte er auf die Rückseite einer Vorstudie geschrieben. Und dann, ein Jahr später, zieht er selber in den Krieg, er tut es freiwillig [es haben sich damals so viele so brachial geirrt, das verdächtigt bis heute jede Gewissheit, die man selber pflegt].

Und dort, im Krieg, in den Gräben von Verdun, kommt ihm sein eigenes Bild als Postkarte entgegen:

„Bei ihrem Anblick war ich ganz betroffen und erregt. Es ist wie eine Vorahnung dieses Krieges, schauerlich und ergreifend; ich kann mir kaum vorstellen, daß ich das gemalt habe!”

Der Weltkrieg begegnet als Waldbrand, der Waldkrieg als Weltbrand, der Krieg als ein Naturphänomen: lauter sei er und rein und reinigend. Das hat auch Franz Marc geglaubt, als er in den Dreck der Schützengräben zog. Er fiel im selben Jahr 1916, einer unter 9 Millionen.

„Animalisierung der Kunst“? Anstatt wie Löwe und Lamm in der Sonne zu liegen, lassen sich Menschen wie Eintagsküken schreddern. Zweigesichtig sind offenbar beide, die erste Natur wie die zweite: Wenn das Küken träumt, träumt es vom Klassen- Völker- Rassen- Hahnenkampf, das Eintagsküken vom homerischen Ruhm. Das ist The Pursuit of Wilderness, das Glücksversprechen der freien Natur: einerseits das Versprechen, friedlich zusammen leben zu können, und dann ist es zugleich sein eigenes Gegenteil, das Versprechen, einmal die Sau raus lassen zu können, einmal Herrenmensch sein.

Und jetzt, um diesen Bogen zu schließen, jetzt das, was HUNDREDS dazu sagen. Ihr Video hier kippt sehr langsam und der Waldbrand erst am Ende. 

Und was sagt der biblische Gott dazu zu diesem wenig romantischen Befund?

„Siehe ich richte mit euch einen Bund auf und mit euren Nachkommen und mit allem lebendigen Getier bei euch an Vögeln, an Vieh und an allen Tieren des Feldes bei euch … was für Tiere es sind auf Erden.“

Ein Bund mit allen, die träumen können, wovon auch immer. Und als müsse er es sich selber erklären, warum er diesen Bund nicht nur mit allen Tieren, sondern auch mit allen Menschen schließt, argumentiert der biblische Gott wie später Thomas Hobbes:  

„Denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf …“

… und der Mensch dem Menschen ein Wolf. Ein Wolf, der neben dem Lamm in der Sonne liegen könnte.


P.S. Der Regenbogen ist, der Bibel zufolge, das Zeichen dieses Bundes, eines, das Himmel und Erde verbindet und von allen gesehen werden kann: Franz Marc hat den Regenbogen über einige seine Bilder gespannt, auch über den “Turm der blauen Pferde”:

Franz Marc, Turm der blauen Pferde, 1913, heute verschollen

In diesem Bild von Franz Marc ist die ganze Geschichte gleichsam verdichtet: 1913 gemalt, reichen die Pferde  –  ihre Anordnung als “Turm” dürfte Anspielung auf den Turm zu Babel sein, Genesis 11  –  an den Regenbogen heran, der den Himmel berührt, die Pferde berühren ihn an seinem höchsten Punkt und sogar etwas darüber hinaus. Das Bild wurde 1937 von den Nazis beschlagnahmt und als “entartete Kunst” ausgestellt. Dagegen protestierten einige Offiziere der Wehrmacht, die empört waren darüber, dass das Werk eines im Weltkrieg gefallenen Frontoffiziers als “entartet” gelten soll. Daraufhin hängten die Nazis das Bild tatsächlich ab, wenig später kaufte ein Top-Funktionäre der Nazis das Bild auf, während er  –  es war Hermann Göring  –  alles daran setzte, die Welt, über die sich der Regenbogen spannt, in jenen Brand zu setzen, den Franz Marc in “Fate of the Animals” vorher gesehen hat.


Farbwiedergabe der Bilder von Franz Marc ohne alle Gewähr, farbecht ist hier mit Sicherheit nichts.


HUNDREDS | “WILDERNESS” elektro-akustisch

» Freitag 08. Dezember, 20 Uhr | Einlass 19 Uhr
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