Hans-Ehrenberg-Preis

Hans Ehrenberg ca 1943

Der Hans-Ehrenberg-Preis wird von der Evangelischen Kirche in Bochum in Verbindung mit der westfälischen Landeskirche und in Abstimmung mit der Bochumer Hans-Ehrenberg-Gesellschaft vergeben. Er ist mit 5 000 Euro dotiert und wird in der Regel alle zwei Jahre verliehen.

Der Preis erinnert das Leben und Werk von Professor Dr. Hans Ehrenberg [1883 – 1958], Vordenker und Wegbereiter des kirchlichen Widerstands gegen den totalitären Nazi-Staat.

Ehrenberg  –  Professor für Philosophie und jüdisch-christlicher Theologe, Bochumer Pfarrer und politischer Publizist –  veröffentlichte im Frühjahr 1933 das Bochumer Bekenntnis. Es ist das erste öffentliche Bekenntnis einer Kirche gegen das Regime, ein radikale Absage an völkische Ideologie und den Glauben an staatliche Allmacht: Im Bochumer Bekenntnis, so Ehrenbergs Biograph Günter Brakelmann,

„war vorformuliert, was die Barmer Synode ein Jahr später für die ganze deutsche Kirche bekennen sollte“.

Heute ist die Barmer Theologische Erklärung von Mai 1934 wegweisendes Lehr- und Glaubenszeugnis der Evangelischen Kirchen, in der westfälischen Kirche ist sie Bekenntnisgrundlage.

An entscheidender Stelle aber geht das unter Federführung Ehrenbergs formulierte Bochumer Bekenntnis über Barmen hinaus, es bekennt “den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs” – es bekennt den Gott der Juden.

Mit Predigten, Büchern und Flugblättern, in hohen Auflagen verteilt, hat Ehrenberg, der Judenchrist, das Nazi-Regime angegriffen, der Denker gegen den totalen Staat erhielt „totales Redeverbot“.

Im November-Progrom 1938 wurde Ehrenberg ins KZ Sachsenhausen verschleppt, er überlebte monatelange Folter. Im März 1939 konnte mit seiner Familie nach England emigrieren, sein Lebenswerk aber geriet ins Vergessen.

Heute werden mit dem nach ihm benannten Preis Persönlichkeiten ausgezeichnet, die in öffentlicher Auseinandersetzung protestantische Position beziehen und sie in aktuellen politischen, kirchlichen und wissenschaftlichen Kontroversen vertreten.

» Biographie Hans Ehrenberg [pdf]

Preisträger 2023 | Navid Kermani

Navid Kermani, Hans Ehrenberg-Preis 2023 by Volker Wiciok

Ausgezeichnet wird der Essayist, Publizist und Schriftsteller, eine der wichtigsten Stimmen im öffentlichen Diskurs, “für seine Kunst des dialogischen Denkens”. Kermani, heißt s in der Begründung, entfalte sein Erkennen “im Modus des Möglichen, in einer Weise, die voraussetzt, der andere könnte im selben Maße recht haben, in dem man selber recht hat. Dieses Denken im Dialog, das den Widerspruch als kreativ empfindet, hat Navid Kermani mit Hans Ehrenberg gemein. Und wie Hans Ehrenberg glaubt Navid Kermani nicht daran, dass Denken immer darauf aus sein müsse, in Synthesen zu münden. Der Konsens ist ein politisches Ziel, Denken lebt im Dissens, im bewussten und bewusst geschärften Verschiedensein.”

Darum, so die Findungskommission weiter, “ist die Kunst des dialogischen Denkens die eines mitfühlenden Denkens. Sie hält dem Gegenüber Wahrheit zugute, gegenüber einem totalitären und fundamentalistischen Denken aber zieht sie eine scharfe Grenze. ‘Weißt du, was mein liebstes Wort im Koran ist? Das Wort vielleicht‘, schreibt Navid Kermani, und weiter: ‘In diesem vielleicht liegt deine Freiheit, deine Verantwortung, deine Suche nach Erkenntnis’.”

>> Dokumentation des Festakts mit Laudatio, Respons, Podiumsgespräch | pdf-Datei ausgedruckt 18 Seiten

Preisträger 2019 | Norbert Lammert

Prof. Dr. Norbert Lammert nimmt die Urkunde aus der Hand von Heinz Ehrenberg entgegen, dem 102jährigen Neffen von Hans Ehrenberg | Foto Sabine Hahnefeld

Der langjährige Präsident des Deutschen Bundestages, so die Jury,

“hat die demokratische Kultur der Republik in einer Weise geprägt, die Leidenschaft, Esprit und Stil vereint. Die Art, in der er öffentliche Ämter bekleidet, macht erfahrbar, dass Demokratie mehr ist und anderes als eine Verfahrensform: Sie ist Lebensart, Haltung, ein bürgerlicher Habitus, der einen demokratischen Alltag prägt.”

Die würdevolle Leichtigkeit, mit der er “die liberale Demokratie als Kunst des Möglichen” pflege, heisst es weiter, stehe

“im bewussten Kontrast zu der traumatischen Erfahrung, dass Demokratien sterblich sind: Sie bestehen  –  und fallen  –  durch das Engagement von allen, von uns. Dies ist, was Norbert Lammert und Hans Ehrenberg im Innersten verbindet: die Erfahrung, dass es auf den Einzelnen ankommt. Herzschlag der Demokratie ist die einzelne Stimme.”

Den Preis nahm Norbert Lammert  –  wie auch Wim Wenders zwei Jahre zuvor – aus den Händen von Heinz Ehrenberg entgegen, dem Neffen von Hans Ehrenberg. Wenige Tage zuvor hatte Heinz Ehrenberg seinen 102. Geburtstag gefeiert.

Preisträger 2017 | Wim Wenders

Wim Wenders | (c) Peter Lindbergh 2015

Die Freiheit des Glaubens ist immer auch die Freiheit der Kunst: Im Jubiläumsjahr der Reformation wird ein Künstler geehrt.

Die Laudatio auf Wim Wenders  –  Regisseur und Autor, Fotograph und Produzent, einer der bedeutendsten Filmkünstler der Gegenwart  –  hielt der Vorsitzende des Rates der Evang. Kirche in Deutschland, Dr. Heinrich Bedford-Strohm. Die Präses der Evang. Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, sprach das Geistliche Wort.

Geehrt wurde Wenders für einen künstlerischen Stil, „der Freiraum lässt für das, was unverfügbar ist“, heißt es in der Begründung der Findungskommission: Die Bilder, die Wenders schaffe,

„laden dazu ein, das Bilderlose mitzudenken, das Heilige im Weltlichen, die Würde des Profanen“.

» “Eine große Metapher für dieses Land” | Pressemitteilung

» “4 Fragen an Wim Wenders” | Pressemitteilung

Wim Wenders Werk als Drehbuchautor, Regisseur, Produzent, Photograph und Autor umfasst  –  neben seinen vielfach preisgekrönten Spielfilmen  –  zahlreiche innovative Dokumentarfilme, weltweite Photoausstellungen sowie diverse Bildbände, Filmbücher und Textsammlungen.

Er lebt und arbeitet zusammen mit seiner Frau Donata Wenders, einer renommierten Foto-Künstlerin, in Berlin. Wenders ist Mitglied der Akademie der Künste in Berlin, Ehrendoktor der Sorbonne in Paris, der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg, der University of Louvain sowie der Fakultät für Architektur der Universität Catania, er ist Träger des Ordens Pour le Mérite, Präsident der European Film Academy und Professor em. an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg.

» Biographie Wim Wenders [pdf]

Preisträger 2015 | Heinrich Bedford-Strohm

Heinrich Bedford-Strohm | Foto ELKB/Rost

Der Vor­sit­zende des Rates der Evan­ge­li­schen Kir­che in Deutsch­land, Prof. Dr. Hein­rich Bedford-Strohm  –  von Bun­des­mi­nis­ter Sig­mar Gabriel, Stell­ver­tre­ter der Bun­des­kanz­le­rin laudatiert  –  wurde “für seine öffent­li­che Theo­lo­gie gewürdigt, mit der er den Protestantismus prägnant und politisch profiliert repräsentiert“ und “für die Impulse, die er dem Zusam­men­le­ben in einer plu­ra­len Gesell­schaft gibt“: Bedford-Strohm löse

“das von Hans Ehrenberg entwickelte Programm einer evangelischen Öffentlichkeitskirche ein”.

Der Fest­akt wurde dialogisch gestaltet, “Posi­tion bezie­hen“  war der Titel des von Bernd Becker, Direk­tor des Evang. Pres­se­ver­ban­des, mode­rier­ten Dia­logs über aktuelle Her­aus­for­de­run­gen politisch-verantwortlichen Handelns:

Bedford-Strohm, so Gabriel mit hörbarer Sympathie, stehe dafür ein, dass Christentum und Fremdenfeindlichkeit unvereinbar, Christentum und soziale Gerechtigkeit dagegen untrennbar seien.

Laudatio: SIGMAR GABRIEL  | Bundesminister, Stell­ver­tre­ter der Bun­des­kanz­le­rin

Grußwort: THOMAS EISKIRCH | Oberbürgermeister der Stadt Bochum

Preisträger 2013 | Manfred Sorg und Eduard Wörmann (†)

Eduard Wörmann, Manfred Sorg | EKvW

Wie gehen wir mit Rechtsbrechern um, die psychisch krank sind  –  und wie mit Bürgerprotest, der sich gegen den Bau einer Forensischen Klinik wehrt? Manfred Sorg und Eduard Wörmann haben diese Fragen neu gestellt: Was bedeutet Menschenwürde im Maßregelvollzug?

Wie lässt sich die Würde derer wahren, denen schweres Leid zugefügt worden ist, und wie die Würde der Täter, die, bei aller Schwere der Tat, nicht aufgehen in ihr? Wie die Würde der Mitarbeitenden wahren und der Anrainer, die ein Recht darauf haben, sich im eigenen Stadtteil sicher zu fühlen?

1997 haben der damalige Präses der westfälischen Kirche und der Leiter des Amtes für Industrie- und Sozialarbeit den Initiativkreis “Sicherheit durch Therapie” ins Leben gerufen, haben Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ins Gespräch gebracht mit Fachleuten, örtlicher Politik, Bürgerinitiativen und Medienvertretern. Haben gegen Angstkampagnien auf Information gesetzt und darauf bestanden, dass der Maßregelvollzug eine “gesamtgesellschaftliche Aufgabe” bleibt.

Solche Formen des Dialogs sind exemplarisch dafür, Bürgerprotest zu demokratisieren.

Laudationes: DR. MICHAEL BERTRAMS | Prä­si­dent a.D. des Ver­fas­sungs­ge­richts­hofs NRW und UWE DÖNISCH-SEIDEL | Lan­des­be­auf­tragter für den Maß­re­gel­voll­zug in NRW

Grußwort: THOMAS EISKIRCH | MdL

» Weitere Informationen: “Feste Burg, gute Wehr? Demokratie und Bürgerprotest”.

Preisträgerin 2011 | Antje Vollmer (†)

Antje Vollmer | Foto Jim Rakete

Hans Ehrenberg hat das dialogische Prinzip  –  Macht ohne Gewalt  –  für die politische Philosophie fruchtbar gemacht, Antje Vollmer für die politische Arbeit selbst. Gewürdigt wurde sie

“für ihre politischen Initiativen, mit denen sie in scheinbar ausweglosen  gesellschaftlichen Konflikten Verständigungsprozesse auslöst“.

Wie dringend notwendig solche Dialoge sind, wie mühsam und kräftezehrend für alle, die sie führen, hat der Abend selber gezeigt:

“Bei der Verleihung des Ehrenberg-Preises wurden auch ehemalige Heimkinder gehört”,

schrieb Benedikt Reichel in den Ruhr Nachrichten:

“Zu gern, zu leichtfertig wird Protest anderenorts abgeschirmt. Dieser Abend hat im Sinne des Namensgebers, im Sinne des Dialogs, zumindest für den Außenstehenden einen Bruchteil der verhärteten Fronten brechen lassen.”

Die Laudatio wiederum wurde als Gespräch geführt über “Wege der Versöhnung im öffentlichen Leben”, beteiligt waren:

Dr. Margot Käßmann | Honorarprofessorin an der Ruhr-Universität
Dr. Antje Vollmer
Reinhard Mawick | Pressesprecher der Evang. Kirche in Deutschland (EKD)
Sprecher/innen von Initiativen ehemaliger Heimkinder

» Begründung der Findungskommission

» Diverse Medienberichte

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Preisträgerin 2009 | Edna Brocke

Dr. Edna Brocke | (c) Ayla Wessel, Kulturagentüer

Die Leiterin der Alten Synagoge Essen, des Hauses jüdischer Kultur, wurde für die Impulse gewürdigt, die sie zur Neuorientierung des deutschen Protestantismus gegenüber dem Judentum und dem Staat Israel gegeben hat. Ihre Analysen des Verhältnisses von Juden, Israelis und Deutschen sowie ihre Kritik des modernen Antisemitismus befähigen dazu,

“aus dem jüdisch-christlichen Dialog heraus das Unterscheidende fruchtbar zu machen, weil die Grenze der wirklich fruchtbare Ort der Erkenntnis ist.”

Laudationes hielten

Dr. Fritz Pleitgen | Geschäftsführer der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010
Dr. Klaus Wengst | Prof. em. für Neues Testament an der Ruhr Universität Bochum
Dr. Günter Brakelmann | Prof. em. und Ehrenberg-Biograph

Gemeinsames Thema ihrer Beiträge: “Israel & Wir”. In ihrer Respons betonte Dr. Edna Brocke die  –  nicht religiös und nicht politisch,  sondern  –  “existenziell unterschiedliche Ausgangsposition” im jüdisch-christlichen Gespräch.

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Preisträgerin 2006 | Aktion Sühnezeichen Friedensdienste

Aktion Sühnezeichen Friedensdienste

“Der Selbstgerechtigkeit und dem Hass eine Kraft entgegensetzen”, hieß es im Gründungsaufruf der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Wenige Wochen nach dem Tod Hans Ehrenbergs gegründet, hat die Initiative – aus der Einsicht heraus, dass die evangelische Kirche eine Mitverantwortung trägt für die Verbrechen des NS-Regimes – einer europäischen Erinnerung und Verständigung den Weg geebnet.

Die Laudatio hielten in Form einer Podiumsdiskussion über die Frage “Wie weit reicht Europa?”

Peter Altmaier | MdB, Parlamentarischer Staatssekretär, in Vertretung des Bundesministers des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble
Lale Akgün | MdB
Axel Schäfer | MdB
Alfred Buß | Präses der Evang. Kirche von Westfalen
Ulrich Reitz | Chefredakteur der Westdeutschen Allgemeinen WAZ

Dr. Franz von Hammerstein [†] | Ehrenvorsitzender der ASF, nahm den Preis entgegen.

Lothar Kreyssig [1898 – 1986], Gründer der ASF, und seine Frau Johanna sind im November 2018 als Gerechte unter den Völkern geehrt worden.

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Preisträger 2004 | Robert Leicht

Robert Leicht | Foto Volker Wiciok

Der Journalist Prof. Dr. h.c. Robert Leicht, Politischer Korrespondent der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT, wurde für seine publizistischen Interventionen ausgezeichnet, mit denen er den Kern der reformatorischen Lehre  –  dass die Würde des Einzelnen mehr ist als die Summe seiner Taten und Untaten  –  in gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen aktualisiert.

Wo nötig, markiert Leicht auch die Grenze des Dialogs: Im Herbst 2002 war Leicht der erste Leitartikler deutschsprachiger Leitmedien gewesen, der die anti-jüdischen Ressentiments des Herrn Möllemann verurteilt hatte: “Sie lassen sich nicht entschuldigen, sie wurzeln tief im Denken und nicht bloß oberflächlich im Reden.” Die Freiheit der Gewissen, so Leicht über auch die Freiheit der Presse, begründe nicht die Freiheit, das Gewissen zu suspendieren. Die Laudationes zum Thema “Öffentlich & Frei” hielten

Dr. Margot Käßmann | Landesbischöfin der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers
Dr. Norbert Lammert | Präsident des Deutschen Bundestages

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Preisträger 2002 | Präses Manfred Kock & Karl Kardinal Lehmann [†]

Präses Sorg, Sup. Sobiech, Kardinal Lehmann, Graf Lambsdorff, Präses Kock, MP Steinbrück, Bischof Grave, OB Stüber (v.l.n.r.) | Foto Hänisch, UK

Den Hans-Ehrenberg-Preis 2002 nahmen der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann, und der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Manfred Kock, gemeinsam entgegen.

Ausgezeichnet wurden die obersten Repräsentanten der beiden Kirchen für ihre Verdienste um ein ökumenisches Gespräch, das einer Zukunft in Solidarität und weltweiter Gerechtigkeit verpflichtet ist. Laudatio und Grußworte zum Thema “Gemeinsames Sozialwort der Kirchen” hielten

Dr. Otto Graf Lambsdorff [†]| Bundeswirtschaftsminister a.D.
Peer Steinbrück | Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen
Bundeskanzler Gerhard Schröder sandte sein Grußwort per Fax.

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Preisträger 2000 | Günter Brakelmann

Günter Brakelmann | Foto privat

Erstmals verliehen wurde der Hans- Ehrenberg-Preis im Jahr 2000 an Prof. Dr. Günter Brakelmann, dessen Publikationen das Leben und Werk Hans Ehrenbergs vergegenwärtigt und in ihrer Bedeutung für Kirche und Gesellschaft erschlossen haben. Die Laudatio hielt

Dr. Hans-Detlef Hoffmann |  Theologischer Vizepräsident der Evang. Kirche von Westfalen

Die anschließende Podiumsdiskussion zum Thema “Protestantismus & Politische Kultur” wurde bestritten von

Dr. Fritz Pleitgen | Intendant des WDR
Gabriele Behler | Bildungsministerin des Landes Nordrhein-Westfalen
Barthold C. Witte | Kulturpolitiker
Hermann Gröhe | Menschenrechtspolitischer Sprecher der CDU im Bundestag
Johano Strasser  | Publizist

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Hans Philipp Ehrenberg (1883 – 1958)

Hans Philipp Ehrenberg

Am 4. Juni 1883 jüdisch geboren und im kulturbürgerlichen Milieu von Hamburg-Altona aufgewachsen.

Studium der Nationalökonomie und Sozialwissenschaften; seine Doktorarbeit schreibt er 1906 über die Lage der Hüttenarbeiter im Ruhrgebiet.

Studium der Philosophie, ab 1910 Privatdozent in Heidelberg. Während dieser Jahre findet Ehrenberg zu einem christlich begründeten Existenzialismus: Im November 1909 lässt er sich in Berlin protestantisch taufen.

1914: Ehrenberg wird Frontoffizier im Ersten Weltkrieg, ab 1916 geht er auf Distanz zur militärischen Logik, er wird zum politischen Publizisten: In führenden Blättern geißelt er die „politische Barbarei“ des Deutschen Reiches und plädiert für eine „weltpolitische Bündnisdenkart“.

1918 Professor für Philosophie in Heidelberg: Ehrenberg begründet – zusammen mit Martin Buber, Franz Rosenzweig ua – die Dialog-Philosophie, er zählt zu den prominenten Denkern dieser Zeit. Dann ein für Hochschullehrer spektakulärer Schritt, er tritt – noch vor der November-Revolution 1918 – der SPD bei, wird Stadtverordneter in Heidelberg und engagiert sich zusammen mit Karl Barth (dessen „Tambacher Vortrag“ er verlegt) in der religiös-sozialistischen Bewegung.

1922 Studium der evangelischen Theologie, im September 1925 wird er in der Christuskirche Bochum zum Pfarrer ordiniert. Ehrenberg  –  sein Bezirk ist die Bochumer Innenstadt mit der Pauluskirche  –  wird zum Mittelpunkt der ökumenischen Arbeitnehmerbewegung; seine Erwachsenenbildung grenzt sich scharf ab von Faschismus einer- und Bolschewismus andererseits: In der öffentlichen Verantwortung der Christen als Christen sieht er die einzige inhaltliche und strategische Alternative zum totalitären Denken, das die Republik zerreißt.

Die rechtsnationale Szene  –  sie hat ihre Hochburg in der Bochumer Innenstadt  –  nimmt ihn direkt ins Visier: Ehrenberg vereint, was immer Nazis verhasst ist, er ist Jude und Judenchrist, Intellektueller und Linker, Liberaler und Demokrat, ein Pfarrer. Lakonisch seine Erinnerung:

„In Bochum dachte ich, ohne Antisemitismus auszukommen, aber das kam anders.“

Er setzt sich zur Wehr, hält Vorträge, publiziert, predigt, mietet Gaststätten in Bochumer Arbeitervierteln an und lädt zu öffentlichen Diskussionen  –  der MÄRKISCHE SPRECHER nennt ihn den „unermüdlichen Befruchter geistigen Lebens in unserer Stadt“. Auf diese Weise kämpft er für eine „Kirche der Armen, Verfolgten und Entrechteten“, eine Kirche, die nicht Gehorsam predigt, sondern selbständiges Denken – die „evangelische ‚Öffentlichkeitskirche‘“:

„Es ist das prophetische Amt der Kirche, das die Öffentlichkeitskirche unterbaut“,

schreibt er im Mai 1930 in der FRANKFURTER ZEITUNG. Ehrenbergs Stimme wird republikweit gehört, sie hat Gewicht, er macht sich  –  nach innen wie außen  –  einige Freunde und etliche Feinde. Seine gesamte publizistische Arbeit stellt er jetzt, in der Endphase der Republik, in den Dienst seiner politischen Theologie:

Ehrenberg wird zum Vordenker und Wegbereiter des kirchlichen Widerstands gegen die Nazis.

Noch im Frühjahr 1933  –  das Land liegt im völkischen Taumel  –  formuliert er das BOCHUMER BEKENNTNIS, rund 100 Pfarrer  –  unter ihnen Martin Niemöller und Ludwig Steil  –  unterzeichnen es: Am 4. Juni 1933, dem Pfingstsonntag, veröffentlicht, ist es das erste Bekenntnis einer Kirche gegen das totalitäre Regime – eine radikale Absage an völkische Ideologie und den Glauben an staatliche Allmacht. Im Bochumer Bekenntnis, so Ehrenbergs Biograph Günter Brakelmann,

„war vorformuliert, was die Barmer Synode ein Jahr später für die ganze deutsche Kirche bekennen sollte“.

Heute ist die Barmer Theologische Erklärung von Mai 1934 wegweisendes Lehr- und Glaubenszeugnis der Evangelischen Kirchen, in der westfälischen Landeskirche ist sie Bekenntnisgrundlage. An entscheidender Stelle aber geht das Bochumer Bekenntnis über Barmen hinaus, es bekennt sich ausdrücklich zum „Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“, es bekennt – anders als Barmen – den Gott der Juden.

Der Nazi-Staat reagiert, Ehrenberg wird sein Lehramt für Philosophie entzogen und im September 1935 die Staatsbürgerschaft, seine Ehe mit Else Zimmermann wird als „Rassenschande“ gebrandmarkt, die Nazi-Presse hetzt gegen den „gottlobenden Marxisten“ und seine „jüdische Kniffligkeit“ und dass er „deutsche Kinder“ in „sexuellen Dingen“ unterrichte usw.: Ehrenberg ist vogelfrei, der einzige Schutzraum, der ihm noch bleibt, ist seine Kirche.

Die obere Kirchenbehörde aber drängt darauf, dass „in unserer Kirche überhaupt kein Raum mehr bleibt“ für ihn: Im Mai 1937 versetzt sie ihren prominenten Pfarrer in den Ruhestand. Begründung: Ehrenberg  – ein Jude, wie Jesus einer war  –  sei, was die Nazi-Gesetze „Rasse-Jude“ nennen und deshalb aus dem Dienst „zu entfernen“. Ein unfassbarer Vorgehen: Das Konsistorium wendet den „Arier-Paragraphen“ und damit das antisemitische Prinzip auf die Kirche an. Die Rolle der damaligen Kirchenleitung, so die Stifter des Hans-Ehrenberg-Preises, könne man heute „nur mit Erschütterung und Scham zur Kenntnis nehmen“.

Bei den drei Abschiedsgottesdiensten, die Ehrenberg noch halten kann, drängen sich Tausende in der Paulus- und der Christuskirche  —  eine gewaltige Demonstration der Bekennenden Kirche in Bochum, ihre letzte. Ehrenberg allerdings publiziert weiterhin, seine Schriften wandern, in sechststelligen Auflagen gedruckt, illegal durchs Land: Im September 1938 erhält er, der Denker gegen den totalen Staat, „totales Predigt- und Redeverbot“ durch eben diesen Staat. Wenig später, im Novemberpogrom 1938, wird sein Haus in der Goethestraße verwüstet, er selber wird ins KZ Sachsenhausen verschleppt und monatelang gefoltert.

Dank der Interventionen seiner Frau und des Bischofs von Chichester, George Bell, kann er mit seiner Familie 1939 nach England emigrieren. Im Exil  –  auch dort ist sein Name prominent  –  unterstützt er die Alliierten in ihrem Krieg gegen die Nazis, 1943 schreibt er:

„Die Einheit der Welt ist verloren gegangen, wir sind zwei Menschheiten geworden.“

Radikaler ist kein Gegenüber zu denken. Am Ende, so Günter Brakelmann, „gab es nichts mehr zu vermitteln zwischen Christus und seinem Widersacher, zwischen Kirche und NS-Totalität“. Selbst jetzt aber, in diesem radikalen Gegenüber, hält Ehrenberg fest an einer Hoffnung, die beides ist, europäisch und eschatologisch und so groß,

„dass wir sogar glauben können, es werde der Tag kommen, an dem die Seestrecke London-Hamburg wieder befahren wird. Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es zu viel, dies zu erhoffen.“

1947 kehrt Ehrenberg in die Bundesrepublik zurück, sein Bochumer Pfarramt bleibt ihm – ein erneutes Versagen seiner Kirche — versperrt, er wird Pfarrer für Erwachsenenbildung in Bielefeld, 1953 zieht er nach Heidelberg, wo er 1958 verstirbt.

„Es brauchte lange, viel zu lange“, so die Stifter des Hans-Ehrenberg-Preises, „bis wir begriffen hatten, was das Glaubens- und Lebenszeugnis und die wissenschaftliche Lebensleistung des Hans Ehrenberg nicht nur für die Kirche in Westfalen, sondern für den Protestantismus überhaupt bedeutet.“

Mitglieder der Findungskommission des Hans-Ehrenberg-Preises

Stand Januar 2021: Superintendent Dr. Gerald Hagmann und Pfarrerin Manuela Theile für den Vorstand der Evangelischen Kirche in Bochum; Prof. Dr. Traugott Jähnichen für die Evangelisch-Theologische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum und die Hans-Ehrenberg-Gesellschaft; Pfarrer Thomas Wessel für die Christuskirche Bochum.